Gut Ding will Weile haben

Gut Ding will Weile haben

Stralsund am vorletzten Oktoberwochenende 2015: Regen, grau-in-grau, Kälte und der 8. Rügenbrückenmarathon. Stralsund am vorletzten Oktoberwochenende 2016: Regen, grau-in-grau, Kälte und der 9. Rügenbrückenmarathon. So viele äußere Parallelen.

Rückblick: Kraniche und Fische anstatt Marathonlauf und Finisher-Jubel hieß es im letzten Jahr für die Roten Socken. Mit dem Mut der Verzweiflung fuhren Chris und Alex im letzten Jahr nach Stralsund, beide arg von Erkältungen gebeutelt. Mit der vagen Hoffnung auf eine spontane Wunderheilung meldeten sie sich am Abend vor dem Lauf noch auf den Halbmarathon um, mussten dann am Wettkampftag selbst jedoch einsehen, dass das so alles keinen Sinn ergibt. Statt Marathon gab es damals Kranorama, Meeresmuseum und Ozeaneum. Irgendwie nett, aber nicht das, was es sein sollte.

In diesem Jahr nun sollte alles besser werden. Zwar meldete sich Chris am Tag vor dem Lauf abermals vom Marathon auf den Halbmarathon um, dies jedoch aus freien Stücken. Vor einigen Wochen beschloss er, seine Karriere über die 42,195km zu beenden, ohne jedoch seine Laufschuhe ganz an den Nagel zu hängen. Für die kurzen Distanzen (Halbmarathon und kürzer) werden sie wohl von Zeit zu Zeit noch aus dem Schrank geholt.

Fünf Minuten vor dem Start der Marathonläufer*innen öffnete der Himmel zum ersten Mal an diesem Tag seine Schleusen und begleitete die über 135 Aktiven auf die Strecke über die klassische Marathondistanz. Unter ihnen auch die Rote Socke Alex, welcher seinen 18. Marathonlauf ohne größere Ambitionen anging.

Der erste und einzige erwähnenswerte Anstieg des Kurses ist die Rügenbrücke selbst. Nachdem die Läufer*innen am alten Hafen in Stralsund gestartet sind, geht es auf direktem Weg auf die 3km lange „neue“ Rügenbrücke und damit auch erst einmal nach oben. Auf der größten deutschen Insel angekommen wird das Seebad Altefähr passiert, bevor der Rügenbrückenmarathon endgültig zum Landschaftsmarathon wird. Eigenwillig ist, dass sowohl beim Halbmarathon als auch über die volle Distanz der Wendepunkt deutlich nach der Hälfte der absolvierten Strecke erreicht wird. Nachdem man also bereits mehr als die Hälfte gelaufen ist, entfernt man sich erst einmal weiter vom Ziel. Nach dem Wendepunkt geht es dann auf deutlich direkterer (Ufer-)Linie zurück nach Stralsund.

75 Minuten nach den Marathonläufer*innen wurde auch Chris nebst weiteren 530 Halbmarathonis auf die (bis zum Kilometer 15 gleiche) Strecke gelassen. Sein Ziel war es, einen entspannten Saisonabschluss zu haben und den Halbmarathon locker über die Runden zu bringen. Genau das gelang ihm auch. Mit 1:59:58h blieb er dabei auch souverän unter der 2h Marke.

Währenddessen fing Alex auf der Marathonstrecke an zu rechnen und nach übereinstimmenden Berichten spielte sich folgendes in seinem Kopf ab:

Der Halbmarathon ist geschafft, kurzer Blick auf die Uhr: 1:56:30, eigentlich ganz gut und die Beine fühle sich auch noch gut an. Es wird doch nicht…ach quatsch. Kilometer 23, die Beine sind noch immer gut, ist es vielleicht möglich erstmalig unter 4h zu bleiben? Käse! „Schließlich war ich bei einigen meiner vorher absolvierten 17 Marathons schon deutlich besser vorbereitet.“ Kilometer 24, noch einmal fix nachrechnen. Das Ergebnis bleibt: wenn ich unter 6min/km bleibe, reicht es. Sicherheitshalber rechnete ich anschließend nach jedem absolvierten Kilometer nach, immer mit dem gleichen Ergebnis. Und mit jedem Kilometer reifte langsam die Gewissheit, dass es nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis klappen könnte. Schließlich blieben die Zeiten bei fast allen weiteren Kilometern unter 6:00min/km. Kilometer 34, noch acht bis ins Ziel und die wunderschöne Silhouette von Stralsund ist schon zu sehen. Ob es zu diesem Zeitpunkt noch geregnet hat? Keine Ahnung. Kilometer 37, noch fünf bis ins Ziel. Jetzt eine kurze Laufpause, dass wärs, die Beine platzen bald. Aber das ist jetzt keine Alternative. Kilometer 39, noch drei bis ins Ziel: Nur noch der Rügendamm, das muss doch reichen. Kilometer 42, noch 195m: Wo ist das verdammte Ziel, ich sehe es nicht. Ich habe doch keine Zeit mehr. Ziel: es hat gereicht, 3:59:30h.

Wahrscheinlich ist es für viele nicht so ganz nachvollziehbar, was die 4 Stunden Marke für die meisten Hobbymarathonläufe bedeutet. Rational lässt sich das wohl auch kaum erklären, denn letztendlich ist es eigentlich auch egal, ob man nun 3:59h oder 4:01h braucht, selbst der Muskelkater dürfte der gleiche sein. Aber gefühlt macht es einen riesigen Unterschied.

Und trotz der vielen äußeren Parallelen schien das grau-in-grau im Oktober 2016 doch deutlich freundlicher als noch ein Jahr zuvor.

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